Im Deutschen ist der Begriff „Dämmerung“ zweideutig; er kann sowohl für die Morgendämmerung wie auch die Abenddämmerung verwandt werden. Im Englischen ist man mit „dawn“ und „dusk“ nach „twilight“ eindeutiger. Insofern ist die englisch-sprachige Lesart dieses Blogtitels entschieden, während sie im Deutschen noch Offenheit kennt. Nomen Est Omen.
Es muss wohl im Frühling 1983 gewesen sein, als ich noch in der Berufsfachschule für Fotografie am Berliner Lette-Verein Schüler war und zufällig meine dortige Deutschlehrerin Gertraude Krüger bei einer U-Bahn-Fahrt traf. Jawohl, damals leistete man sich noch Sprachunterricht in der Muttersprache an einer Berufsfachschule, obwohl man zum Planfilmentwickeln mit Agfa Rodinal-Lösung eigentlich mehr Zeit in der Dunkelkammer zubringen sollte. Getraude Krüger ist übrigens auch eine bekannte Übersetzerin und Vorstandsmitglied des Verbandes deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ), wie man der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2010 entnehmen konnte. [http://www.sueddeutsche.de/karriere/literaturuebersetzer-einsame-idealisten-am-schreibtisch-1.549775]
Während dieser Zeit des Kalten Kriegs waren Bürgerproteste in Westdeutschland und in Westberlin weit verbreitet: ob Hausbesetzer in Kreuzberg, Protestmärsche gegen den NATO-Doppelbeschluss oder der Widerstand gegen die für 1983 vorgesehene Volkszählung, der schließlich zum so genannten „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 führte und damit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung feststellte, das sich aus der Menschenwürde des Art. 1 GG und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG ableitet.
Noch etwas anderes aber war im Jahr 1983 die kontextuelle Hintergrundfolie für mein kurzes U-Bahn-Gespräch mit Getraude Krüger: Bildschirmtext [http://de.wikipedia.org/wiki/Bildschirmtext] war ab März durch die Unterzeichnung des Staatsvertrags beschlossene Sache, nachdem man bereits ab 1977 an der Verknüpfung von Telefon mit Informatik zur Telematik experimentierte. Schließlich machte die noch analoge Videokameratechnik bedeutende Fortschritte an Robustheit bei Standaufnahmen (die Vidicon-Röhre hatte die Plumbicon-Röhre ersetzt und ermöglichte sogar Farbaufnahmen), so dass man im Straßenbild an Gebäuden immer mehr verkapselte und fernsteuerbare Videokameras zur Überwachung des öffentlichen Raums wahrnehmen konnte.
Dies alles war damals der Kontext einer großen Besorgnis seitens Gertraude Krüger, die sich in diesem U-Bahn-Gespräch von 1983 mir offenbarte, dass vor allem das aufkommende Btx bald mit der Verknüpfung anderer Erfassungs-, Bildübertragungs- und Überwachungstechnik zu einer allumfassenden Überwachung der Bürger führen würde. Mir kam das damals im zarten Alter von 21 Jahren ziemlich übertrieben vor: Der technische Entwicklungsstand von Btx erschien mir damals wenig geeignet, hier Besorgnis entwickeln zu müssen. Mehr als 30 Jahre später können wir es nun besser wissen: Der direkte Weg führte von Btx über den geschlossenen Onlinedienst T-Online zur DTAG als Internet-Serviceprovider. Das direkte Kabel führt von diesem und anderen „ISPs“ zu Internet-Knoten- und Datenaustausch-Stellen und von dort via Splitter in die zentralen Überwachungszentralen, wie wir es spätestens seit 2013 nun wissen können.
Als ich mich dann 1987 und 1988 noch vor meinem Abitur auf dem Erwachsenen-Bildungsweg als Gasthörer bei Klaus Heinrich, dem Berliner Religionswissenschaftler, an der Freien Universität Berlin einschrieb, da staunte ich nicht schlecht, wie auch er – sicherlich nicht sehr technik-affin – vor der zentralen Überwachung und zentralen Steuerung der Gesellschaft mittels Computertechnik warnte, während gleichzeitig von den großen Veränderungen in der SU seitens Gorbatschow mit „Glasnost“ und „Perestroika“ zu berichten war. Dies war insofern von Bedeutung, als Klaus Heinrich einst studentischer Mitgründer der FUB war, als man die Humboldt-Universität, ihre Lehrpläne, Lehrer und Studenten im Sinne der Ost-Berliner Kommunisten nach dem Ende der NS-Herrschaft „bereinigen“ wollte.
Mir erschien auch die Warnung von Klaus Heinrich noch übertrieben: die Post-Hippies und ihre egalitäre Heimcomputer-Bewegung versprach Anderes. Da gab es einen Steve Jobs, seine Firma Apple und beide brachten am 25. Januar 1984 – nächste Woche vor 30 Jahren – den Macintosh heraus. Ein vernetztes Mac-Cluster von acht Arbeitsplätzen für Lehrzwecke konnte ich im Jahr 1988 bei Besuchen meiner ehemaligen Lehrer Norbert Pintsch und Senta Siller am Berliner Lette-Verein „hands-on“ ausprobieren: Der damals neue „PageMaker“ als Papiersimulator – welche Offenbarung! Dieser Computerraum für angehende Fotografen wurde damals im Lette-Verein gegen große Widerstände des Lehrkörpers von den beiden durchgesetzt; die „Mavica“ von SONY [http://de.wikipedia.org/wiki/Mavica] war noch kein Überzeugungs-Argument: Warum also sollten sich Fotografen auch für Computer interessieren?
Die Anarchie einer Firma wie Commodore mit ihrem C64 und C128 und dann ihrer AMIGA-Linie hatte neben dem Preisspektrum einst Sympathien auf sich gezogen, wenn auch die Ästhetik der damaligen Computerpresse mit ihren geschmacklosen Bitmap-Grafiken und noch geschmackloseren Farbkombinationen eher abschreckte, wie auch die neue C64-generierte Computermusik, die man auf einer SFB-Radiowelle spätabends mit etwas Schaudern und Kopfschütteln konsumieren konnte. Wie sollte man mit so etwas eine zentrale Überwachung und Steuerung der Gesellschaft anstellen können?
Manchmal hilft die astrologische Prognostik weiter; Verena Bachmann, die für die Schweizer Zeitschrift ASTROLOGIE HEUTE arbeitet, veröffentlicht in Ihrem „Kalender“ eine Prognostik der aktuellen Zeitqualität, in der Regel für 2 – 3 Monate im voraus, die ich immer sehr gerne lese und nachvollziehe.
Hier ein Link zu ihrem Text bezüglich des Zeitraums von Mitte Juni bis Mitte August 2013, veröffentlicht vor dem 6. Juni 2013:
http://astrologieheute.ch/index.aspx?mysite=artikel&artnr=1575
Verena Bachmann schrieb darin:
„Bisher weniger beachtete Themen gewinnen an Aufmerksamkeit und Bedeutung. Unerwartete Wendungen sowie das Auftauchen von neuen Erkenntnissen verändern den Blickwinkel und in der Folge auch die Gewichtung und Bewertung einer Reihe von persönlich und mundan aktuellen Situationen und Prozessen. Einige dieser Bewegungen dürften ganz subtil und kaum fassbar verlaufen, sodass erst im Nachhinein deutlich wird, wie umfassend der Wandel ist. In anderen Fällen dürften konkrete Ereignisse für eine abrupte Veränderung sorgen. Grosse Chancen, wundersame Entwicklungen und Erfolge sind dabei ebenso möglich, wie Katastrophen und Krisen oder andere dramatische Prozesse, die ein Umdenken unausweichlich machen.“
und weiter:
„Es ist daher anzunehmen, dass in dieser Zeit unerwartete Ereignisse und Erkenntnisse für Aufregung sorgen. Revolutionäre Prozesse könnten neue Dimensionen erreichen und aufsehenerregende Vorfälle (vor allem in Bezug auf soziale und gesellschaftliche Themen sowie den Umgang mit modernen Technologien) einen Perspektivenwechsel einleiten.“
Ich habe in den ersten Junitagen, als ich diesen Text las, mir nicht vorstellen können, was da in der Tat wenige Tage später auf uns zurollte, bevor diese Meldung vom 6. Juni 2013 im britischen GUARDIAN eine Bewegung weltweit in Gang setzte, die uns auch nach einem halben Jahr noch im Diskurs erschüttert und deren Bewegungsausgang sowie deren technische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Konsequenzen einschließlich auf das Alltagsleben jedes Einzelnen derzeit noch nicht absehbar sind.
http://www.guardian.co.uk/world/2013/jun/06/us-tech-giants-nsa-data
Mit diesem Diskurs in der „Post-Snowden-Ära“, wie ich unseren Zeitabschnitt in einem Artikel für Telepolis am 17.09.2013 gemünzt habe, wird sich auch dieser Blog beschäftigen. Einerseits.
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39909/1.html
Andererseits erschien im September 2013 der Text „Offline! Das unvermeidliche Ende des Internets und der Untergang der Informationsgesellschaft“ von Thomas Grüter als Buchveröffentlichung im Springer Wissenschafts-Verlag. Den Endnoten nach zu urteilen, dürfte der Redaktionsschluss dieses Textes auf Ende Januar 2013 zu datieren sein. Es handelt sich um einen außerordentlich wichtigen Textbeitrag, bei dem eben auch „bisher weniger beachtete Themen an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen“ haben.
http://www.thomasgrueter.de/thesenpapier.pdf
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40301/1.html
Auch dieser Text, sein Entstehungskontext, seine Implikationen wie auch meine Kritik an diesem Text wird ebenfalls Gegenstand dieses Blogs werden.
Schließlich ist dem Stimmungsumschwung einer Digitalen Euphorie in die Digitale Nachdenklichkeit auch noch bei zwei „Petitionen“ der jüngsten Vergangenheit nachzugehen, die weder die erste Phase der „Digitalen Dämmerung“, noch deren zweite Phase überhaupt mitbekommen wollen. Gemeint sind der „Berliner Appell zum Erhalt des digitalen Kulturerbes“, der – ohne Datum publiziert – sich schon zeitlos wähnt:
http://www.berliner-appell.org/
Gemeint ist ebenfalls – sychron aufgestellt im Spätherbst 2013 zu den damals laufenden Koalitions-Verhandlungen der Großen Koalition – die Petition „Filmerbe in Gefahr“:
http://filmerbe-in-gefahr.de/page.php?0,511,
Viel Stoff für Weiteres also.