Mit großem Vergnügen habe ich die Biographie über Moritz de Hadeln von Christian Jungen gelesen, erschienen 2018 im Züricher Sachbuchverlag rüffer & rub. Die Biographie ist sehr gut recherchiert, flüssig und pointiert geschrieben, mit großem Sachverstand den internationalen Filmfestival-Entwicklungen gegenüber in ihren historischen, sich entwickelnden Verläufen.
Dann ist diese Biographie auch eine kursorische Filmgeschichtsschreibung der Werke, OEuvres, Genres, ja auch der entdeckten National-Cinematographien, eben aus der Perspektive des Filmkurators: der darin beschriebene Berufsweg von Moritz und Erika de Hadeln im Zeitlauf von 1968 bis 2005 von Nyon und Locarno über 21 Jahre Berlin bis zum Karriereende in Venedig und Montreal macht die Pionierrolle der de Hadelns deutlich, die man im Berliner Kreuzfeuer der lokalen Zeitungsfeuilletons und in der damaligen Fernsehberichterstattung seinerzeit oft nicht erkennen und nicht würdigen konnte.
Der kuratorische Qualitäts-Abstieg der Berlinale unter der anschließenden, wieder rund zwanzigjährigen, Ägide von Dieter Kosslick zum kommerziellen Kulturbetriebs-Selbstläufer eines Gemischtwarenladen-Sortiments, mit Zirkusdirektor aber ohne Kunstverstand, macht den Kontrast zur Epoche de Hadeln deutlich, wo man sich als außenstehender Beobachter in den 1980er-Jahren einst schon fragte, ob man keinen besseren gefunden habe. Die Biographie von Christoph Jungen rückt da in der historischen Analyse wieder viel zurecht. Jetzt weiß man: Man hatte in Berlin für die komplexen Aufgaben der damals komplizierten Zeiten schon den/die richtigen beschäftigt. De Hadeln hatte die Berlinale von Wolf Donner 1980 in einem erbärmlichen und zerrütteten Zustand übernommen. In dieser Turbulenz war zu Beginn der Berliner NS-
Aufarbeitung (Rürups „Topographie des Terrors“ z.B.) wohl kein Gedanke an Alfred Bauer zu verschwenden, der in Zeiten von Jubel-Trubel-Heiterkeit der Ära Kosslick ebenfalls untergegangen war, jenseits aller Wahrnehmung, und nun der übernächsten Generation von Rissenbeek/Chatrian 2020 gleich auf die Füße gefallen war. Chatrian kam, wie auch Moritz de Hadeln, von Locarno nach Berlin.
Das Anekdotische der persönlichen Begegnungen darf bei der Darstellung der Festivalgeschichte nicht fehlen; dies ist in dem Text weder Sammlung noch Fetisch, sondern vertieft die geschichtlichen Verlaufsanalysen.
Moritz de Hadeln ist am 21. Dezember 2020 achtzig Jahre alt geworden. Man hätte sich im Berlinerischen da schon eine Würdigung seiner Verdienste gewünscht, die allerdings – nach meiner Beobachtung – ausgeblieben war. Noch mehr wären jedoch de Hadelns aktuelle Einsichten und Ratschläge von Nöten, in Zeiten der Not, auch die der Berlinale.
Noch zwei Erinnerungen von mir persönlich in diesem Zusammenhang:
Martin Scorsese habe ich 1981 anlässlich seines Berlinale-Abstechers wegen „Raging Bull“ („Wie ein wilder Stier“) in der Akademie der Künste im Vortrag persönlich erlebt, heuer also vor 40 Jahren, weil er als einer der ersten prominenten Filmkünstler auf das „Color Fading“ und die Notwendigkeit der Restaurierung nicht nur von alten Nitrostreifen in Schwarzweiß, sondern auch auf das Verschwinden der Farbstoffe aus den Farbfilmen hinwies.
Mariette Rissenbeek schließlich, die derzeitige Administrations-Direktorin der Berlinale, hatte ich 1984 als Werbeassistent bei der Werbeagentur Löhlein & Schonert als Arbeitskollegin kennen gelernt, als sie von der Übersetzertätigkeit in die Betreuung der Filmfestspiele überwechselte, wo Didi Schonert die Planung, Produktion und Werbeabwicklung der täglichen Berlinale Festival-Journale verantwortete.
Bei gemeinsamen Abstechern in die Budapester Straße waren die de Hadelns stets auf Reisen (was sich mit den Beschreibungen der Biographie deckt), aber man konnte die administrativen Festivalworker Werner Gondolf und Wolfgang Linke kontaktieren.
Die Würdigung dieser Festivalworker, auch die von Manfred Salzgeber und Wieland Speck, kommt mir etwas zu kurz in den Beschreibungen von Christian Jungen. Herrn Breitscheid sei auch vergeben, dass sein Breitscheidplatz von oben auf dem Stadtplan wie eine „Breitscheide“ aussieht.
Ansonsten eine sehr empfehlenswerte Lektüre für Freunde der Filmgeschichte.
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