Die Problematik des Langzeiterhalts von Beständen audiovisueller Archive, insbesondere der Fernseharchive, ist ein Thema, das in den Hauptmedien unserer Zeit recht randständig ist, denn Archive und Archivare arbeiten in der Regel stets außerhalb des gleißenden Lichtes der Öffentlichkeit, sozusagen lautlos, sie funktionieren, im besten Falle.
Ich hatte der Medienredaktion einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalt in Deutschland dieses Thema als mögliches Radiostück angeboten und dafür insbesondere bei einigen der deutschen Fernseharchive zu diesem Thema recherchiert.
Um das Ende vorwegzunehmen; hier die abschließende Einschätzung dieser ÖR-Medien-Redaktion nach dem Ende meiner Vorrecherchen:
…vielen Dank für Ihre weitere Recherche. Dass sie sich so umfangreich gestalten würde, war für uns als Redaktion nicht absehbar. Ich fürchte, dass das in keinem Verhältnis steht zu einer möglichen Umsetzung. Für uns als Medienmagazin sehe ich nämlich leider keine Möglichkeit, daraus einen Beitrag zu fertigen. Wie Sie schon schreiben, ist das Thema einerseits für drei bis vier Minuten Sendung zu komplex; da wir aber ein tagesaktuelles Magazin sind, können wir i.d.R. keine längeren Formate senden. Andererseits geht es sehr stark um Technik; mit diesem Aspekt befassen wir uns aber nur am Rande. Bei uns geht es um vor allem um Medieninhalte und um Medienpolitik. Bei einem Programm wie dem Deutschlandfunk, das durch Fachmagazine geprägt ist, müssen wir uns auch zu Sendungen abgrenzen, bei denen es ebenfalls um Medienthemen geht, die aber ihren Schwerpunkt etwa in Wirtschaft oder Technik haben (etwa bei „Computer und Kommunikation“). Angesichts der gegebenen Antworten der entsprechenden Funkhäuser sehe ich das Problem allerdings auch nicht als wirklich gegeben an und sehe auch keine weltpolitischen Implikationen. Sehen Sie es uns deshalb nach, wenn wir uns leider gegen Ihr Angebot entscheiden müssen.
Ja, klar: Massenmedien, Computerei und Kino-Film sind getrennte Redaktions-Schubladen und -Stuben, da verliert man leicht den interdisziplinären Blick in einer gut funktionierenden, parzellierten Medienmaschine. Zudem fällt schwer, den Langzeiterhalt von Inhalten audiovisueller Archive nicht als medienpolitisches Thema aufzufassen. Dass man die Komplexität des Themas nicht in 3 Minuten 30 dahersagen kann, ist freilich verständlich.
Um dem Thema dennoch nicht verlustig zu gehen, hier im Blog, bei Digitale Dämmerung, die einstweilige Dokumentation der Ergebnisse meiner aktuellen Recherchen.
Dabei komme ich auch auf die „weltpolitischen Implikationen“, die hier oben zitiert redaktionell nicht gesehen werden können, noch zurück.
Aber der Reihe nach:
Angefangen hatte es im September 2018 mit einem offensichtlichen Medienevent beim ZDF zu dessen Projekt „Massenumcodierung“, der Umspielung von Video-Magnetband-Inhalten auf digitale Massenspeicher; dieser Medienevent vor Ort erzeugte ein Medienecho:
Die SZ brachte am 18. September 2018 einen längeren Beitrag unter dem Titel „Digital ist besser“ zum Thema und reagierte damit vertieft auf eine dpa-Reportage, die z.B. bei Heise am 12. September 2018 online veröffentlicht wurde:
http://www.heise.de/-4162080
Die entscheidende Frage für mich blieb jedoch auch in dem nachrecherchierten SZ-Stück unbeantwortet:
Was passiert mit den (im Inhalt zumeist digital codierten) Magnetbändern nach dem Umspielen auf Festplatten-Arrays?
Es läuft nämlich unter dem Gesichtspunkt „Langzeiterhalt der Fernseharchive“ mehr oder weniger auf die Frage hinaus:
Was wird zuerst funktions-untüchtig — die Festplatten-Arrays oder der letzte typgerechte Videorecorder, der i.d.R. langlebige Video- Kassetten-Aufzeichnungen in Echtzeit auslesen kann?
Ich hatte zur Problematik des Langzeiterhalts von IT-Technik basiertem Content vor einigen Jahren einen Universtitätsvortrag gehalten:
Berliner Vorlesung, 2014
LINK https://duskofdigital.files.wordpress.com/2014/07/berlinervorlesung.pdf
Unseren Nachkommen wird es vielleicht gelingen, die Information unmittelbar vom Magnetband auszulesen — etwa per höchstauflösender Magnetfelderkennung, ohne rotierende Videoköpfe der dann wirklich obsoleten Videorekorder-Hardware für Echtzeit-Ausspielen. Was dem gern vorgebrachten Obsoleszenz-Argument zumindest einmal etwas entgegen setzt.
Wenn die Video-Bänder dann aber nach der Umspielung auf heutige HDD-
Arrays vernichtet werden würden (im Gegensatz zu den nostalgischen Filmstreifen, die ebenfalls in den Archiven liegen, derzeit gesäubert und digitalisiert werden, auch zur Einspielung auf HDD-Arrays), dann bleibt nur noch das bange Hoffen, die Arrays langfristig (mit Strom, mit Nachschub an Ersatzteilen, mit funktionierenden Chips/ICs, im möglicherweise kollabierenden Welthandel) am Laufen zu halten…
Von Seiten der Medien-Redaktion aus der Radiostation gab es zu meinem ursprünglichen Beitragsangebot zunächst diese Rückmeldung:
Es wirkt für mich so, als ob die meisten Anstalten sich viele Gedanken über die Langzeitsicherung ihrer Archive gemacht haben und da auch seit längerem recht fleißig dran sind. Nun wäre die zentrale Frage, ob die Anstalten auch auf den von Ihnen skizzierte Fall vorbereitet sind, dass die Arrays womöglich den Geist aufgeben. Vielleicht gibt es da auch schon lange Pläne und Sicherheitsvorkehrungen – dann wäre das Ganze nicht unbedingt ein Beitragsthema. Ihre These wäre ja: Die Anstalten sichern, aber sichern nicht gut genug bzw. sind nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Thema erstmal ein bisschen anrecherchieren könnten und bei zwei, drei Anstalten nachfragen könnten, wie sie es mit dem eventuellen Ausfall der Arrays halten und ob es einen Plan B gibt oder das Material dann komplett verloren wäre.
Grund genug also für interessiertes Nachfragen:
beim ZDF, beim SWR und beim BR.
Zunächst die schriftliche Anfrage an den SWR:
Das Projekt „Massenumcodierung“ der Fernseh-Magnetbänder beim ZDF erzeugte im September ein interessiertes Medien- und Presse-Echo, z.B. in der dpa-Reportage von Oliver von Riegen (bei Heise online am 12.09.18) oder in dem SZ-Beitrag von Karoline Beisel vom 18. September. Dabei wurden auch die Restaurierungsmaßnahmen und Sicherungsprojekte beim SWR erwähnt.
Als promovierter Medienrestaurator und Publizist auf diesem Gebiet schienen mir mit dem Aspekt der Langzeitsicherung in diesen Presse- Reportagen allerdings viele entscheidende Fragen noch offen.
[…]
Insofern möchte ich, wenn Sie gestatten, Ihnen vor einem evt. Telefonat oder möglichem Interviews gerne ein paar meiner Gedanken und Fragen voranstellen.
1. Frau Kerstin Eberhard als Projektleiterin von „Massenumcodierung“ beim ZDF wird im direkten Zitat des SZ-Beitrags wörtlich zitiert mit: „Ich bin nicht mehr die Hüterin der Sicherheit der Bestände. Das ist jetzt die IT“.
Die Kernkompetenz von AV-Archivaren bestand von Beginn an in der Kontrolle der Speichermaterie als Grundlage des Langzeiterhalts.
Teilt der SWR diese Auffassung, wonach die Supervision über die Speichermaterie auf archiv-fremde IT-Spezialisten übertragen werden soll?
2. Bei der Audiodigitalisierung nach der Jahrhundertwende wurden vom WDR die alten analogen Sendebänder in Lagerhäusern massen-eingelagert, um bei einem Totalausfall der Digitalisate auf die originalen Sendebänder noch zurückgreifen zu können.
Werden beim SWR die alten Sendebänder (analog und digital) nach dem Abschluß der Überspielungen auf Disk-Arrays vernichtet oder bleiben diese dauerhaft archiviert oder wird der SWR dem Beispiel WDR folgen und diese in Lagerhäusern massen-einlagern?
3. Der Betrieb von Disk-Arrays als Grundvoraussetzung für Langzeiterhalt der digitalisiert vorliegenden Inhalte ist abhängig von Ressourcen. Diese sind, neben anderen, permanente Strom/Energiezufuhr, Ersatzteile der Systeme (Motherboards), Ersatz-Speicher für ausgefallene Speichermodule.
Wie will der SWR in Zeiten zunehmend problematischen Welthandels und damit verbundener, zunehmend problematischer internationaler Arbeitsteilung die Versorgung mit diesen Ressourcen für einen Langzeiterhalt sicherstellen?
Wie will der SWR mögliche Sabotage auf Hardware-Ebene (wie sie in der Erstberichterstattung durch Bloomberg gerade verdeutlicht wurde) verhindern?
4. Wie sind die Pläne und Sicherheitsvorkehrungen des SWR für den Fall eines Totalausfalls der verwendeten, physischen Disk-Arrays, die derzeit mit Inhalten bespielt werden?
In welcher Redundanzstufe werden beim SWR Disk-Arrays vorgehalten bzw. aufgebaut? Gibt es oder soll es eine LTO-Bandsicherung des Gesamtarchivs geben?
Was ist der „Plan B“ des SWR für den Fall des Totalausfalls dieser Disk-Array-Einheiten?
5. Wie steht der SWR zum Thema Grundlagenforschung auf dem Gebiet der direkten, hochauflösenden Magnetfelderkennung von Mangetbändern (unter Umgehung von rotierenden Videoköpfen und obsoleter Videorekorder- Hardware)?
6. In welcher Auflösungsstufe werden beim SWR Film-Materialien digitlisiert, remastert und archiviert (16mm/35mm, Negativ/Umkehr/Kopien, sw/farbe)?
Werden die Ausgangsmaterialien auf Filmträger dauerhaft archiviert oder werden diese nach Abschluß der Digitalisierung vernichtet?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir im Vorwege hier einige Antworten zukommen lassen könnten.
Hier die Antwort vom SWR:
…vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir gerne beantworten:
1. Frau Kerstin Eberhard als Projektleiterin von „Massenumcodierung“ beim ZDF wird im direkten Zitat des SZ-Beitrags wörtlich zitiert mit: „Ich bin nicht mehr die Hüterin der Sicherheit der Bestände. Das ist jetzt die IT“.
Die Kernkompetenz von AV-Archivaren bestand von Beginn an in der Kontrolle der Speichermaterie als Grundlage des Langzeiterhalts.
Teilt der SWR diese Auffassung, wonach die Supervision über die Speichermaterie auf archiv-fremde IT-Spezialisten übertragen werden soll ?
Antwort 1: Die Rechenzentren des SWR werden von IT-Spezialisten administriert. Das Sicherheitskonzept (Redundanz, CopyPools, Brandabschnitte, Verteilung auf mehrere Gebäude bzw. Standorte etc.) wurde vom SWR Archiv als Anforderungsgeber gemeinsam mit der IT definiert. Ein Zugriff auf die Archivbestände erfolgt über die Archivdatenbank FESAD, die Datenhoheit und die Kontrolle der Zugriffe liegt damit weiterhin bei den Archiven.
2. Bei der Audiodigitalisierung nach der Jahrhundertwende wurden vom WDR die alten analogen Sendebänder in Lagerhäusern massen-eingelagert, um bei einem Totalausfall der Digitalisate auf die originalen Sendebänder noch zurückgreifen zu können.
Werden beim SWR die alten Sendebänder (analog und digital) nach dem Abschluß der Überspielungen auf Disk-Arrays vernichtet oder bleiben diese dauerhaft archiviert oder wird der SWR dem Beispiel WDR folgen und diese in Lagerhäusern massen-einlagern?
Antwort 2: Die Digitalisierung des SWR Audio und Video) erfolgt nicht auf „Disk-Arrays“, sondern auf eine mehrstufige Speicherinfrastruktur (Disk und LTO Robotik, 4-fach redundant, über 2 Standorte). Im Falle der Audiotonbänder in 24bit linear Wave, die Videobänder als XDCAM und teilweise zusätzlich als DNxHD. Die physischen Bänder werden nach einer definierten Sicherheitsverwahrung (12 – 18 Monate nach Digitalisierung, nach Qualitätskontrolle der Digitalisate) vernichtet.
3. Der Betrieb von Disk-Arrays als Grundvoraussetzung für Langzeiterhalt der digitalisiert vorliegenden Inhalte ist abhängig von Ressourcen. Diese sind, neben anderen, permanente Strom/Energiezufuhr, Ersatzteile der Systeme (Motherboards), Ersatz-Speicher für ausgefallene Speichermodule.
Wie will der SWR in Zeiten zunehmend problematischen Welthandels und damit verbundener, zunehmend problematischer internationaler Arbeitsteilung die Versorgung mit diesen Ressourcen für einen Langzeiterhalt sicherstellen?
Wie will der SWR mögliche Sabotage auf Hardware-Ebene (wie sie in der Erstberichterstattung durch Bloomberg gerade verdeutlicht wurde) verhindern?
Antwort 3:
– die beiden Hauptkomponenten der SWR Rechenzentren (Disk-Array für den Cache, LTO Bandrobotik als Massenspeicher) werden 24/7 von Qualtätssicherungsmechanismen überwacht, drohende oder auftretende Defekte werden erkannt und durch die Redundanz ohne Datenverlust durch Ersatzteile „geheilt“. Zyklisch (ca. alle 4-5 Jahre) erfolgt die Migration der Bestände (zB LTO5 nach LTO7) und/oder der vollständige Ersatz der Infrastruktur durch die nächste Generation. Gegen Sabotage sind die Systeme durch robuste Sicherheitskonzepte geschützt (physische Zugangskontrollen, unterbrechungsfreie Stromversorgung, mehrstufiger Brandschutz, digitale „Isolierung“ der Netze gegen das Internet, etc.), die Redundanz über mehrere Gebäude bzw. Standorte soll bei Totalverlust eines Standorts (Brand o.ä.) die Integrität des Archivs durch den zweiten Standort sichern.
4. Wie sind die Pläne und Sicherheitsvorkehrungen des SWR für den Fall eines Totalausfalls der verwendeten, physischen Disk-Arrays, die derzeit mit Inhalten bespielt werden?
In welcher Redundanzstufe werden beim SWR Disk-Arrays vorgehalten bzw. aufgebaut? Gibt es oder soll es eine LTO-Bandsicherung des Gesamtarchivs geben ?
Was ist der „Plan B“ des SWR für den Fall des Totalausfalls dieser Disk-Array-Einheiten ?
Alle Fragen wurden mit Antwort 3 beantwortet.
5. Wie steht der SWR zum Thema Grundlagenforschung auf dem Gebiet der direkten, hochauflösenden Magnetfelderkennung von Mangetbändern (unter Umgehung von rotierenden Videoköpfen und obsoleter Videorekorder- Hardware) ?
Antwort 5: Wir setzen auf den Industriestandard der Abspielgeräte und werden mit der Digitalisierung weit vor Eintreten völliger Obsoleszenz der Technik fertig sein. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit haben wir keine Ressourcen für Forschung und Entwicklung auf diesem Feld.
6. In welcher Auflösungsstufe werden beim SWR Film-Materialien digitlisiert, remastert und archiviert (16mm/35mm, Negativ/Umkehr/Kopien, sw/farbe) ?
Werden die Ausgangsmaterialien auf Filmträger dauerhaft archiviert oder werden diese nach Abschluß der Digitalisierung vernichtet?
Antwort 6: Alle Filme (16mm/Super16mm/35mm, Negativ/Umkehr, sw und farbe) werden im SWR im zentralen Filmkühllager (6°) dauerhaft aufbewahrt, „für die Ewigkeit“. Bei Bedarf können sie zukünftig in der Auflösung abgetastet werden, die dem dann gewünschten Nutzen (2K, 4K, 8K) entspricht.
Die zugehörigen Sendefassung werden von Kassette in XDCAM HD / 24 Bit Audio (teilweise auch in DnxHD 185x) im Rahmen des Kassettendigitalisierungs-Projekts erzeugt und dienen als Vorlage für die künftige Neubearbeitung der Filme (Blenden, Effekte, Postpro, Sendetonmischung, Internationaler Ton, etc.) in der digitalen Farbkorrektur.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Utz
Unternehmenssprecher
SWR
Südwestrundfunk
Dann die schriftliche Anfrage an das ZDF:
Guten Tag nach Mainz,
Das Projekt „Massenumcodierung“ der Fernseh-Magnetbänder erzeugte im September ein interessiertes Medien- und Presse-Echo, z.B. in der dpa-Reportage von Oliver von Riegen (bei Heise online am 12.09.18) oder in dem SZ-Beitrag von Karoline Beisel vom 18. September.
Als promovierter Medienrestaurator und Publizist auf diesem Gebiet schienen mir mit dem Aspekt der Langzeitsicherung in diesen Presse- Reportagen allerdings viele entscheidende Fragen noch offen.
[…]
Insofern möchte ich Ihnen vor einem Telefonat oder möglichem Interviews gerne ein paar meiner Gedanken und Fragen voranstellen.
1. Frau Kerstin Eberhard als Projektleiterin von „Massenumcodierung“ wird im direkten Zitat des SZ-Beitrags wörtlich zitiert mit: „Ich bin nicht mehr die Hüterin der Sicherheit der Bestände. Das ist jetzt die IT“.
Die Kernkompetenz von AV-Archivaren bestand von Beginn an in der Kontrolle der Speichermaterie als Grundlage des Langzeiterhalts. Warum gibt das Archiv des ZDF mit seinem gesamten Archiv-Know-How seit 55 Jahren diese Kernkompetenz nun an die Informationstechnologie ab ? Was passiert mit den Filmbeständen im Fernseharchiv?
2. Bei der Audiodigitalisierung nach der Jahrhundertwende wurden vom WDR die alten analogen Sendebänder in Lagerhäusern massen-eingelagert, um bei einem Totalausfall der Digitalisate auf die originalen Sendebänder noch zurückgreifen zu können.
Werden beim ZDF die alten Sendebänder (DVC PRO und DigiBetacam) nach dem Abschluß des Projektes Massenumcodierung vernichtet oder bleiben diese dauerhaft archiviert oder wird das ZDF dem Beispiel WDR folgen und diese in Lagerhäusern massen-einlagern?
3. Der Betrieb von Disk-Arrays als Grundvoraussetzung für Langzeiterhalt der digitalisiert vorliegenden Inhalte ist abhängig von Ressourcen. Diese sind, neben anderen, permanente Strom/Energiezufuhr, Ersatzteile der Systeme (Motherboards), Ersatz-Speicher für ausgefallene Speichermodule.
Wie will die IT-Abteilung des ZDF in Zeiten zunehmend problematischen Welthandels und damit verbundener, zunehmend problematischer internationaler Arbeitsteilung die Versorgung mit diesen Ressourcen für einen Langzeiterhalt sicherstellen?
Wie will das ZDF mögliche Sabotage auf Hardware-Ebene (wie sie in der Erstberichterstattung durch Bloomberg gerade verdeutlicht wurde) verhindern?
4. Wie sind die Pläne und Sicherheitsvorkehrungen des ZDF für den Fall eines Totalausfalls der beiden physischen Disk-Arrays, die derzeit mit Inhalten bespielt werden? – Gibt es oder soll es eine LTO- Bandsicherung des Gesamtarchivs geben ?
Was ist der „Plan B“ des ZDF für den Fall des Totalausfalls der beiden Einheiten ?
5. Wie steht das ZDF zum Thema Grundlagenforschung auf dem Gebiet der direkten, hochauflösenden Magnetfelderkennung von Mangetbändern (unter Umgehung von rotierenden Videoköpfen und obsoleter Videorekorder- Hardware) ?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir im Vorwege hier einige Antworten zukommen lassen könnten.
Hier die Antwort vom ZDF, mediadesk, Presseabteilung:
…anbei finden Sie nun die Antworten auf Ihre Fragen.
1. Frau Kerstin Eberhard als Projektleiterin von „Massenumcodierung“ wird im direkten Zitat des SZ-Beitrags wörtlich zitiert mit: „Ich bin nicht mehr die Hüterin der Sicherheit der Bestände. Das ist jetzt die IT“.
Die Kernkompetenz von AV-Archivaren bestand von Beginn an in der Kontrolle der Speichermaterie als Grundlage des Langzeiterhalts. Warum gibt das Archiv des ZDF mit seinem gesamten Archiv-Know-How seit 55 Jahren diese Kernkompetenz nun an die Informationstechnologie ab ? Was passiert mit den Filmbeständen im Fernseharchiv?
Das ZDF-Programarchiv definiert sich als Produktionsarchiv und setzt auf die enge Vernetzung mit der Produktions- und Sendeinfrastruktur des Hauses.
Der Archivspeicher ist netzwerktechnisch eingebettet in das IT-
basierte Produktionsumfeld. In dieser Schicht ist das Archivsystem Teil der übergeordneten IT-Sicherheitsarchitektur des ZDF und unterliegt einem mehrstufigen Sicherheitskonzept, wie dies für große Rechenzentren Standard ist (personalisierte Zugangskontrollen, unterbrechungsfreie Stromversorgung, per Firewall geschützter autarker Systembetrieb etc.). Der störungsfreie Betrieb innerhalb dieses Systemnetzwerks wird von den Kollegen der IT administriert und verantwortet. Alle technischen Zugriffe auf die ABD-Systeme sind über Nutzerrollen definiert und reguliert. Die jeweiligen Berechtigungsstufen legt das Archiv fest.
Ebenso definiert das Archiv in enger Abstimmung mit der IT die Anforderungen für den gesicherten Betrieb des Archivspeichers. Dies betrifft exemplarisch die Anforderungen zur redundanten Vorhaltung, zur Festlegung des Speicherbedarfs, der Archivierungsstandards und verwendeten Codecs, der automatisierten Prüfroutinen zur Qualitätssicherung der Essenzen, der Migrationszyklen usf. Die konzeptionelle und technische Umsetzung der Anforderungen obliegt den IT-Spezialisten. Die Qualitätskontrolle der eigentlichen Digitalisate (Essenzen) sowie insbesondere der hierzu generierten Metadaten ist weiterhin Aufgabe des Archivs.
2. Bei der Audiodigitalisierung nach der Jahrhundertwende wurden vom WDR die alten analogen Sendebänder in Lagerhäusern massen-eingelagert, um bei einem Totalausfall der Digitalisate auf die originalen Sendebänder noch zurückgreifen zu können.
Werden beim ZDF die alten Sendebänder (DVC PRO und DigiBetacam) nach dem Abschluß des Projektes Massenumcodierung vernichtet oder bleiben diese dauerhaft archiviert oder wird das ZDF dem Beispiel WDR folgen und diese in Lagerhäusern massen-einlagern?
Alle im Rahmen des Projekts „Massenumcodierung“ bearbeiteten Videobänder (DVCPro, Digital Betacam, HDCAM) werden nach der Überspielung zunächst wieder eingelagert. Nach dem endgültigen Auslaufen der Wartungsverträge und der garantierten Ersatzteilversorgung für die am Markt bereits seit Längerem nicht mehr verfügbaren Abspielgeräte, wird das klassische Videoband im ZDF als Speichermedium und Backup voraussichtlich ab Mitte des kommenden Jahrzehnts ausgedient haben. Als Option wird stattdessen eine zusätzliche Auslagerung der digitalen Archivbestände (Daten+Essenzen) an einem campusunabhängigen Standort geprüft (Disaster Recovery). Über den konkreten Zeitpunkt zur Aussonderung der Videokassetten wird frühestens 2021, also nach Abschluss des Projekts „Massenumcodierung“ entschieden. Das im ZDF in einem speziell klimatisierten Magazin eingelagerte Filmmaterial bleibt unbefristet archiviert und wird bei Bedarf weiterhin als Master für die Neuabtastung herangezogen.
3. Der Betrieb von Disk-Arrays als Grundvoraussetzung für Langzeiterhalt der digitalisiert vorliegenden Inhalte ist abhängig von Ressourcen. Diese sind, neben anderen, permanente Strom/Energiezufuhr, Ersatzteile der Systeme (Motherboards), Ersatz-Speicher für ausgefallene Speichermodule.
Wie will die IT-Abteilung des ZDF in Zeiten zunehmend problematischen Welthandels und damit verbundener, zunehmend problematischer internationaler Arbeitsteilung die Versorgung mit diesen Ressourcen für einen Langzeiterhalt sicherstellen?
Wie will das ZDF mögliche Sabotage auf Hardware-Ebene (wie sie in der Erstberichterstattung durch Bloomberg gerade verdeutlicht wurde) verhindern?
Im Digitalen Archivsystem des ZDF setzen wir bei der Speicherung des Produktionsmaterials Disk-Arrays nur als Zwischenspeicher ein. Als Massenspeicher wird eine LTO-basierte Bandrobotik eingesetzt, die vollredundant an zwei Standorten betrieben wird. In einem Zyklus von 4-5 Jahren wird die relevante Infrastruktur durch eine neue Generation ersetzt und die Video-Bestände zur übernächsten Bandgeneration (z.Z. LTO5 => LTO7) migriert. Eine Überwachungsprogramm prüft rund um die Uhr diese Hardware und meldet Unregelmäßigkeiten (z.B. Schreib-/
Lesefehler oder Performanceverlust von Lesegeräten) rechtzeitig, sodass etwaige Band- bzw. Hardwareausfälle frühzeitig erkannt und behoben (ausgetauscht) werden können. Relevanter Inhalt, auf den als Zwischenspeicher genutzten Disk-Arrays, wird täglich einem LTO-
basiertem Backup zugeführt, sodass auch diese Daten vor Ausfällen gesichert sind. Alle produktionsrelevanten Systeme, darunter auch das Digitale Archivsystem, sind gegen Hardware-Sabotage durch geeignete Zutritts-, Zugangs- und Zugriffskontrollen gesichert.
4. Wie sind die Pläne und Sicherheitsvorkehrungen des ZDF für den Fall eines Totalausfalls der beiden physischen Disk-Arrays, die derzeit mit Inhalten bespielt werden? – Gibt es oder soll es eine LTO- Bandsicherung des Gesamtarchivs geben ?
Was ist der „Plan B“ des ZDF für den Fall des Totalausfalls der beiden Einheiten ?
Die Bestände werden wie oben beschrieben bereits auf LTO-Band gesichert und auf komplett redundanter Infrastruktur über mehrere Gebäude hinweg betrieben. Zudem arbeiten wir gerade an einem Konzept zur Auslagerung der Daten an einen dritten Standort (Disaster Recovery).
5. Wie steht das ZDF zum Thema Grundlagenforschung auf dem Gebiet der direkten, hochauflösenden Magnetfelderkennung von Mangetbändern (unter Umgehung von rotierenden Videoköpfen und obsoleter Videorekorder- Hardware) ?
Da wir frühzeitig mit der Migration der Bänder begonnen haben, wurde ausreichend Videorecorder-Hardware beschafft, sodass wir ab dem Jahr 2021 den kompletten Archivbestand digitalisiert auf LTO-Band abgelegt haben werden.
Mit Rainer Tief als Leiter der Archive beim Bayerischen Rundfunk in München durfte ich am 31. Oktober 2018 ein halbstündiges Hintergrundgespräch führen.
Dieses Gespräch mit Rainer Tief ist als mp3-Datei erhalten und sei hier dokumentiert:
LINK http://polzerpublish.org/aud/BR_Archiv_181031.mp3
Eine erste inhaltlichen Conclusio meiner bisherigen Recherche:
1. Die technischen und – damit zusammenhängend – weltpolitischen Implikationen:
Der Erhalt des zusammengefügten Archivbestandes in Massenspeichern ist abhängig von Ressourcen. Sofern die internationale Arbeitsteilung in der Produktion, die Hoch-Skalierung der Produktionsstraßen für Massenproduktion von Elektronica allerdings in nur wenigen, auf dem Globus verteilten Fabriken, der ungehinderte Welthandel sowie der internationale Währungsaustausch/Währungskompatibilität ernsthaft ins Trudeln kommen sollte, gibt es mit dem langfristigen Erhalt der Fernseharchive massive Probleme, aber natürlich nicht nur dort. Man könnte für ein solches Szenario dann bezogen auf Fernseharchive gar von einem peripheren Problem reden. Eine Kulturgeschichte des Fernsehens würde sich unter diesen Bedingungen jedoch nicht mehr darstellen lassen. In der Vor-Trump-Ära galt man als dystopiensüchtiger Phantast, wenn man auf solche Szenarien hinwies. Inzwischen ahnt man, wie die Dinge auch laufen können.
Dass man die kommende Dekompostierung des Welthandels mit den oben skizzierten Auswirkungen durch einen heraufziehenden Welt-Konflikt im Hegemonialkampf zwischen USA und China-Russland in den Redaktionsstuben nicht antizipieren will, finde ich tragisch; dass man als Nicht-Archiv-Experte sich nicht in eine ARD-interne Auseinandersetzung um Archivstrategien des Langzeiterhalts selbstreflektiv hinein begeben will – oder diese überhaupt erst einmal einzufordern —, ist allerdings mehr als verständlich.
2. Die kulturgeschichtlichen Implikationen:
Die Bundesregierung bezahlt im Staatsauftrag den Betrieb des Barbara-Stollens, in dem die wichtigsten nationalen Dokumente und Zeitzeugnisse als Textdokumente oder Abbildungen auf Mikrofilm für einen Langzeiterhalt (Zeit-Horizont 100 bis 500 Jahre) eingelagert werden.
Für den audiovisuellen Bereich fehlt ein solches Instrument, eine solche Selektion von Einzelwerken für den Langzeiterhalt. Zwar wird bei Fernseharchiven zwischen wertvollen und langfristig zu erhaltenden Materialstücken auf Filmstreifenträger und entsorgbaren Magnetbändern in der Regel unterschieden. Die Recherchen haben jedoch auch gezeigt, dass die Produktionslogik der Produktionsarchive und ihre zeitgenössischen Technikvorgaben die Frage des Langzeiterhalts mit seinem grundlegenden „Store and Ignore“-Prinzip komplett überdeckt hat, auch weil Archivfragen und Fragen des Langzeiterhalts eben der Produktionslogik zu folgen haben.
Im Prinzip wird davon ausgegangen, dass der Mittelzustrom zum Erhalt der großen Speicher-Arrays nie versiegen wird, so wie es die gesetzliche Garantie des Bürgerbeitrags-Fernsehens mental präjudiziert. Dies ist verbunden an’s Axiom, dass der Servicevertrag der ausgesourcten IT-Wartung den Betrieb der Speicher-Arrays garantieren wird und Overnight-Delivery aus aller Welt mit ihren Zwischenlagern den Rest übernehmen — und nie versiegen wird. Es ist absehbar, dass dies mit Punk 1 kollidieren wird. Ob im Krisenfall dann genaug Zeit bleiben wird, bei dann akutem Bedarf techno-methodisch überhaupt Technologie-bedingt umzuschwenken zu können, bleibt diskussionswürdig.
Die Vernichtung der Magnetbänder statt zumindest ihrer Masseneinlagerung halte ich jedenfalls unter den geschilderten Bedingungen für Kulturfrevel. Im Rahmen eines Produktionslogikprimats geht es stets um „Assets“, also das Ganze. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive geht es aber immer um das einzelne Werk, um ein Einzelstück. Wenn der Aufwand steigen sollte, wegen Hardware-Obsoleszenz an Magnetbandinhalte heranzukommen, geht es nicht mehr um „alle Assets“, sondern um das individuelle Einzelstück. Wenn die Array-Technologie ihren Geist aufgeben sollte, gibt es anschließend keine Möglichkeit mehr, an das Einzelstück heranzukommen, weil die totalitäte Array-Struktur stets das Einzelne im Ganzen auflöst.
Erschwerend kommt hinzu, dass die tradierte Technik für einen Langzeiterhalt audiovisueller Inhalte sich gerade in Abwicklung befindet: Die beiden Filmkopierwerkbetriebe beim Bundesarchiv-Filmarchiv in Koblenz und Berlin-Hoppegarten als Einrichtungen des BMI sind entweder vor kurzem abgewickelt worden oder befinden sich kurz vor einer Abwicklung.
Auch wenn die kameralistischen Etattöpfe von BMI mit seinem Bundesarchiv-Filmarchiv und diejenigen für eine Grundförderung für die Gesamtdigitalisierung der audiovisuellen Bestände der Filmarchive mit einer angegebenen Summe von 100 Millionen Euro aus dem davon getrennten Etat des BKM stammen, handelt es sich, vom Gesamthaushalt des Bundes aus gesehen, um eine Querfinanzierung, auf jeden Fall auch dann, sofern das Bundesarchiv-Filmarchiv von der Grütters-Förderung profitieren sollte. Auch dort träumt man inzwischen, nach Jahrzehnten konservativer Modalität, von ganz riesigen Speicher-Arrays.
Die Querfinanzierung – Abschaffung der Filmkopierwerke, Anschaffung von Digitalisierungsprojekten von filmmaterial-basierten Werken – wird vom BKM mit Verweis auf die Federführung der Berliner Kinemathek SDK in der Sache heftig bestritten, wie die laufende Korrespondenz aufgrund einer Eingabe von Jean Pierre Gutzeit, einem unserer Gastautoren in diesem Blog, zeigt:
LINK http://polzerpublish.org/dok/BKM_Filmerbe_181113.pdf
Auch der Historiker Dirk Alt kritisiert die mangelnde Langzeitperspektive bei den Digitalisierungsprojekten der Filmarchive — vor allem beim BArch-FA — ebenfalls in einem aktuellen Zeitungsbeitrag:
LINK https://www.neues-deutschland.de/artikel/1105878.rohfilm-bitte-in-jahren-wiederkommen.html
3. Die medien- und rechtspolitischen Implikationen:
Der große Aufwand in der Umspielung der Filmmaterialen und Videobänder/-kassetten auf Massenspeicher (Disk Arrays/LTO-Bandroboter) deutet auf neue, inhaltliche Anwendungsmöglichkeiten, für die es aber keine rechtlichen Grundlagen oder nur rechtliche Erschwernisse/Verhinderungen gibt. Weder ist derzeit ein „Open Television Archive“ denkbar, noch die Rekonstruktion ganzer Sendetage für die Öffentlichkeit („Retro-TV“). Rundfunkstaatsvertrag, Urheberrechte und Persönlichkeitsrechte verhindern hier die inhaltliche Weiter-Entwicklung im Nachvollzug des technischen Wandels durch die fortschreitende Digitalisierung. Die Erkenntnis, dass das Beste am öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine Programmgeschichte ist, hat sich bislang noch nicht durchsetzen können. Die Idee einer Deutschen Mediathek durch Falkenberg und Leiser aus den 1980er-Jahren wurde durch die Online-Revolution überrollt, was schließlich zum gängigen Depublizieren nach der 7-Tage-Frist bei der öffentlichen Vorhaltung führte.
Wahrscheinlich ist davon auszugehen, dass Rudimente der Programmgeschichte des Fernsehens sich in den Privatbeständen der ehemaligen Zuschauer durch Eigenaufzeichnung oder Kaufmedien am Längsten erhalten werden, weil dort das Prinzip des geographisch distribuierten Store and Ignore in Multiredundanz vorherrscht.
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